Edmund A. Spindler
2013 ist das 198 Seiten dicke Buch „Edvard Munch. Tanz des Lebens. Eine Biographie“ bei Reclam in Stuttgart erschienen. Es kostete damals 19,95 €, dann 9,95 € und wird heute für 4,95 € angeboten. Doch nicht der Schnäppchen-Preis macht das Buch interessant, sondern der Inhalt.
Inhalt
Prof. Dr. Hans Dieter Huber (*1953) von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart ist es in seiner Monografie gelungen, das künstlerische Werk und die Person Edvard Munch als eine Einheit sehr schön zusammenzubringen. Mit seiner professionellen Bildinterpretation lernt man den Künstler sehr gut kennen und ihn in einer Art und Weise zu schätzen, die kunsthistorisch und lebensphilosophisch äußerst wertvoll ist. Huber‘s Ausgangsthese lässt sich so zusammenfassen: Mit dem Malen hat Edvard Munch sein Leben bewältigt!
Huber schreibt schon am Ende des 1. Kapitels: „Die Kunst Munchs kann man als eine Erlösung vom Leiden am Leben interpretieren. Zwischen der Alltagsrealität und dem Blick des Künstlers stehen die farbigen Oberflächen. Munch legte im Malen einen Filter zwischen sich und die Welt. Dazwischen steht das Medium der Malerei als eine zweite Haut, als ein Panzer des Selbst, als eine Schutzschicht aus Farbe.“ (S. 20). Mit dieser Formulierung wird klar, dass Munch die Malkunst existentiell zum (Über-)Leben brauchte, sie offensiv einsetzte und sie auch genoss.
Im 2. Kapitel geht Huber auf das Gemälde „Das kranke Kind“ (1885/68) ein, das er als „Schlüsselwerk“ in Munchs Oeuvre definiert. In der Tat ist dieses Meisterwerk von Munch eine „Goldmedaille“ (S. 28) wert. Danach zeigt er, wie die Lebenswelt von Munch mit seinen Werken und seinem Denken verknüpft sind. Vertiefend werden die Gemälde „Der Schrei“ (1893) und „Mädchen auf der Brücke“ (1901) behandelt. Letzteres bezeichnet Huber als „das gelungenste und reichhaltigste Bild von Edvard Munch“ (S. 106).
Zum Schwerpunkt der Biografie gehören die Liebesverhältnisse von Munch zu Frauen, vor allem zu Milly Thaulow (Frau Heiberg), Tulla Larsen und Eva Mudocci. Hierbei greift Huber erneut zum Superlativ, indem er das Munch-Bild „Die Broschüre. Eva Mudocci“ (1903) „zu den wunderbarsten Frauendarstellungen, die Munch jemals gezeichnet hat“ (S. 115) zählt.
Die chronologisch gehaltene Biografie geht in Kapitel 13 („Berge, Burgen, Badekuren“) auch auf die produktive Elgersburger Zeit (1905/06) von Munch im Thüringer Wald ein, den er als „Reflexionsraum für seinen unruhigen Seelenzustand“ empfand und u.a. die vier wunderschönen Landschaftsbilder „Schneeschmelze bei Elgersburg“ (1906) sowie „Tauwetter“ (1906) mit hoher „Symbolkraft“ malte, so Huber (S. 128 f).
Bemerkenswert ist, dass Huber den Naturbezug von Munch aufgreift und detailliert beschreibt. Seiner Meinung nach zeichnet sich die Hinwendung zur Natur schon 1890 ab: „Er entwickelte in ersten Ansätzen seine Theorie des Stoffwechsels, seine spezifische Auffassung von einem ewigen, unendlichen Kreislauf der Natur.“ (S. 40). Diese „Stoffwechselphilosophie von der Natur und vom Leben“ (S. 44) wird in der Biografie mit Hinweisen auf die Entwicklungslehre von Ernst Haeckel und den Experimenten von August Strindberg zur Kristallisation gut begründet. Weitere Hinweise zu Munchs Natur- und Landschaftsbezug, die bislang nur unzulänglich erforscht sind, finden sich in der Biografie auf den Seiten 67, 70 f, 128 und 149.
Es verwundert, dass erst 10 Jahre nach der Veröffentlichung der Biografie auf das Naturthema in einer ersten Munch-Ausstellung eingegangen wird. Diese Ausstellungspremiere findet vom 18. 11. 2023 bis 01. 04. 2024 im Museum Barberini in Potsdam statt: „Munch. Lebenslandschaft Natur“.

Fazit
Die Biografie „Edvard Munch. Tanz des Lebens“ von Hans Dieter Huber weist schon im Titel darauf hin, dass Munch‘s Malkunst für ihn wie ein optimistischer Lebenstanz gedeutet werden kann. Munch brauchte das Malen zum Überleben und mit seinem herausragenden künstlerischen Talent hat er damit auch erfolgreich gespielt. Dass dies in seinem Umfeld nicht immer gut ankam, zeigt Huber in seiner Biografie, die auf 150 Quellen basiert und auch über das Personenregister gut erschließbar ist.
Wer die Biografie mit dem schönen Titelbild „Mädchen auf der Brücke“ (1901) nicht kennt, sollte sie sich jetzt – preislich günstig – besorgen (z.B. bei Frölich & Kaufmann) und beim Lesen den Geist von Munch spüren, den Prof. Huber so klug herausgearbeitet hat.
Insofern bekommt die Munch-Biografie (trotz drei kleiner Nachlässigkeiten im Text) von mir eine Bestnote und eine dringende Empfehlung zur Lektüre.
Huber, Hans Dieter: Edvard Munch. Tanz des Lebens. Eine Biographie. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2013, ISBN 978-3-15-010937-3 (4,95 €)