Edmund A. Spindler
In der „Kleinen Reihe der Künstlerbiografien“ des Wienand Verlags in Köln liegt seit Oktober 2021 die Ausgabe „Edvard Munch“ von Nils Ohlsen vor. Nils Ohlsen ist ein bekannter Munch-Experte aus Oldenburg (Jg. 1967), der seit 2018 als Direktor des Lillehammer Art Museum in Norwegen arbeitet. Sein Munch-Buch ist nicht nur eine wunderschöne Darstellung des norwegischen Malers Edvard Munch (1863-1944), sondern auch eine treffende Charakteristik seiner Werke. Und zudem ist es die erste deutschsprachige Biographie, die einen aktuellen Hinweis (mit Bild) auf die Existenz des neuen Munch-Museums in Oslo enthält.
Während viele Biographien über Edvard Munch sehr umfangreich und ausschweifend sind (bei Atle Naess sind es 668 Seiten), geht Ohlsen auf 96 Seiten sehr zielsicher, knapp und prägnant auf das produktive Wirken von Edvard Munch ein. Das Buch überrascht mit klugen und neuen Formulierungen, die sich schon in den Überschriften der Kapitel andeuten:
- Mal laut und mal leise: der Kontinent Munch
- Making Munch
- Neue Horizonte: Frankreich und Deutschland
- Selbstbefragung zwischen rastlosen Reisen und Rückzug
- Der Schuss in der Hütte und das „Unternehmen Munch“
- Wendepunkte: vom tödlichen Abgrund zum Strahlenkranz der Sonne
- Ekely – ein Nachtwanderer unter blühenden Apfelbäumen
- Aktueller denn je.
Zur modernen Ausgestaltung des Buches gehören auch die abgesetzten Exkurse zu folgenden Themen:
- Rahmen: Goldornament oder Holzleiste?
- Raub, Markt und Medien
- Der Maler im Film
- Spurensuche.
Auch die Exkurse sind äußerst lesenswert; sie bereichern den geschickt gemachten Überblick zu Edvard Munch mit punktuellen Informationen, die wichtig für das Verständnis und die Einschätzung von Munchs Lebenswerk sind.
Neben dem textlichen Inhalt ist die Auswahl der 50 Munch-Bilder (inkl. Fotos) bemerkenswert und ein Beleg für die Expertise des Autors. Nils Ohlsen geht nicht nur auf die bekannten Motive, wie z.B. „Der Schrei“, „Madonna“ und „Die Sonne“ ein – allein es fehlt „Der Kuss“ – , sondern auch auf weniger bekannte Bilder. Hierzu gehört die „Schneeschmelze bei Elgersburg“ (1906), aus meiner Sicht eines der besten Landschaftsbilder von Edvard Munch.
Für mich ist das Buch von Nils Ohlsen besonders wertvoll, weil er Munch als „Menschenmaler“ tituliert und klipp und klar signalisiert: „Seine Kunst hat bis heute nichts an ihrer Kraft verloren. Im Gegenteil scheint sie gerade in Zeiten fortschreitender Individualisierung und zunehmend offen gelebter Emotionen an Aktualität zu gewinnen.“ (S. 91).
All dies und das informative Glossar zeugen von einem tiefen und intimen Einblick des Autors in die Lebens- und Kunstgeschichte von Edvard Munch. Man merkt, dass der Autor die von Munch hinterlassenen Dokumente im Original lesen und deuten kann. Auch das Text-Bild-Verhältnis ist hervorragend gestaltet und macht das Buch zu einem nachhaltigen Lesegenuss. Insofern ist es sowohl für Laien, als auch für Experten ein großer Gewinn und zur Lektüre sehr zu empfehlen.

Nils Ohlsen: Edvard Munch. Köln: Wienand Verlag, 2021, ISBN 978-3-86832-598-0 (12,95 €)